Hintergrund-Interview zum Job Store der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in der Mall of Berlin: Ich frage Elena Erbes, Personalmarketing-Managerin, was die Idee war, wie sie es umgesetzt haben und was dabei rauskam.
Über 1.600 Besucher, 36 Events, über 300 Bewerbungen: Das sind nicht die Stats eines DAX-Messestandes auf dem Absolventenkongress, sondern des Pop-Up-Stores eines Verkehrsbetriebes. Erreicht über 18 Tage. Beeindruckend!
Manche sagen ja, es gebe "keinen Fachkräftemangel", sondern höchstens einen "Mut- und Ideenmangel", und wenn es um Tram-, Bus- und U-Bahn-Fahrpersonal geht, geht die BVG mal all in und setzt viel auf eine Karte.
Denn man kann sich vorstellen: So eine Aktion ist weder logistisch trivial, noch aus der Kaffeekasse bezahlt. Und wie Elena bestätigt, steht dahinter natürlich eine gewisse atü-Zahl auf dem Recruiting-Druckkessel. Denn was, wenn weniger Menschen nachts aufstehen wollen, um in Schicht unsere Öffis zu fahren? Mut und Ideen sind also in der Tat gefragt.
Ich war selbst vor Ort in der Mall of Berlin und muss sagen: Es wirkte ein wenig surreal, neben EDEKA, dm und McPaper einen stylisch-futuristischen, aufgeräumten Shop zu betreten, der einzig und allein für BVG-Jobs existiert. Fast wie ein Apple-Store in gelb. Und drin HRler, denen ich sonst nur in Kundenterminen oder auf Konferenzen (oder Festivals) begegne. Und die hier ungebremst auf das Berliner Publikum treffen.
Tritt Recruiting endgültig in unseren physischen Alltag?
Vor 20 Jahren hieß Einkaufen, in die Fußgängerzone zu fahren, und zum Bewerben las man Zeitung und schickte eine Mappe per Post.
Heute ist vor Online-Angeboten kein Entrinnen. 24/7 prasselt Werbung auf uns ein und beherrscht den Browser und den Handybildschirm. Und das Personalmarketing folgt: Im Internet haben laut der Potentialpark-Studien 69% der jungen Menschen Karriereinhalte auf Instagram gesehen. Wie soll man da als Arbeitgeber noch herausstehen?
Da rücken auch Offline-Initiativen in den Blick. Gehen Arbeitgeber jetzt den umgekehrten Weg und erobern die Fußgängerzone? Werden Stellengespräche beim Bummeln, Tanken oder Lebensmitteleinkauf normal?
Aber fragen wir einmal Elena Erbes, Personalmarketing-Managerin bei der BVG und Mitorganisatorin des Job Stores:
Julian: Elena, wie ist es zur Idee des Job Stores gekommen?
Elena: Mitte letzten Jahres ist zunächst die Idee entstanden, ähnlich wie die Deutsche Bahn und Bundeswehr einen Job-Store ins Leben zu rufen, wo potenzielle Bewerbende vorbeikommen können.
Doch das hat sich dann zu einer temporären Pop-up-Idee verändert, weil wir gesagt haben, wir müssen ja auch Mitarbeitende dafür einsetzen.
Dann hat es auch einen schönen Pop-up-Charakter und ist etwas Einmaliges, wo man wirklich vorbeikommen muss, weil es nur innerhalb dieser Zeit da ist. Und wir können es als Testpilot nutzen.
Julian: Wie seid ihr vorgegangen?
Elena: Wir haben unter anderem bei den Shopping-Centern angefragt, denn wir brauchten einen lokalen Store, wo Leute uns gut erreichen können.
Die Location stand erst im Dezember. Und dann ging es Schlag auf Schlag von Dezember bis zur Eröffnung im April.
Julian: Die Mall ist ja gerade kein Bahnhof. Wieso habt ihr euch für ein Einkaufszentrum entschieden?
Elena: Lustigerweise ist es bei uns intern auch nicht durchgehend auf Zuspruch getroffen. Wir haben viel Gegenwind bekommen: Wieso in der Mall, da sind doch nur Touristen!
Aber wir wollten dahin, wo man uns nicht erwartet.
Wir hatten in der Mall sehr selten Besucher, die ein Ticket bezahlen wollten oder nach einem Stadtplan gefragt haben. Das war bei einer früheren Aktion am S-Bahnhof Alexanderplatz ganz anders.
Julian: Hattet ihr eher angemeldete Besucher oder auch Laufkundschaft?
Elena: Sowohl als auch.
Die Events, die eine Anmeldung benötigten, waren besser besucht als die, zu denen man einfach vorbeikommen konnte. Wir hatten auch keine sehr hohe No-Show-Quote.
Und es gab viele, die nicht zu den Veranstaltungen kamen, sondern sich informieren wollten und die sich auch direkt beworben haben. Wir haben da eng mit der Agentur für Arbeit zusammengearbeitet, die ihre Kunden vorbeigeschickt hat.
Es gab auch spontane Laufkundschaft, das war aber eher der kleinere Teil.
Und, finde ich auch super wichtig, und das haben wir vorher nicht so erwartet: sehr viele Interne, also MitarbeiterInnen. Es war also auch Mitarbeiterbindung.
Julian: Also ging es weniger darum, dass Leute mit der Einkaufstasche zu euch reinstolpern und plötzlich noch mit einem Job nach Hause gehen, sondern die meisten kamen bewusst und gezielt zu euch?
Elena: Genau. Ich hätte gedacht, dass es genau andersrum ist, aber das ist ja auch interessant.
Wir hätten auch eine prominentere Ladenfläche haben können. Die war aber zu klein. Und wir waren uns dessen bewusst, dass eine Entscheidung für einen Job natürlich auch keine Impulsentscheidung ist.
Uns war also wichtiger, dass der Store groß genug für Veranstaltungen ist. Und dann haben wir vorher viel Zeit und Budget in die Kommunikation gesteckt, damit die Leute wissen, dass wir da sind. Und das hat funktioniert.
Landing Page des BVG Job Store: https://karriere.bvg.de/job-store
Julian: War die Länge von drei Wochen im Nachhinein eine gute Entscheidung?
Ja, es hat sich auf jeden Fall gelohnt. Und wir haben gemerkt, dass die Leute sich darauf eingestellt haben. Es ist dann gegen Ende ein bisschen ausgelaufen.
Julian: Waren alle Bewerbungen auf Jobs oder manche auch initiativ?
Elena: Die 300 Bewerbungen sind nochmal runtergebrochen auf 180 tatsächliche Bewerbung und 120, die sich im Talentpool eingetragen haben. Auf diese 120 kann unser Talent-Acquisition-Team zugehen, wenn passende Stellen online gehen.
Julian: Entspricht das euren Erwartungen?
Elena: Wir haben von Anfang an gesagt, unser Hauptziel ist es nicht, möglichst viele Bewerbungen zu generieren. Der Großteil davon betraf auch den Fahrdienst, was ja auch gut ist, denn da suchen wir super viel.
Aber wir wollten uns als Arbeitgebermarke auch außerhalb des Fahrdienstes noch stärker in den Köpfen der Zielgruppen verankern.
Wir wollten erlebbarer sein und dass die Besuchenden mit einem Wow-Effekt rausgehen. Das soll auch noch langfristig anhalten. Und dann können vielleicht nachgelagert noch Bewerbungen entstehen.
Julian: Wie habt ihr diesen Wow-Effekt hergestellt?
Elena: Wir kennen das auch aus der Erfahrung, dass Leute im Bewerbungsprozess abspringen, oder sie kommen nicht zu Online-Tests oder Vorstellungsgesprächen. Deswegen haben wir gesagt, wir wollen da niemanden möglichst schnell in eine Bewerbung reinquatschen, sondern transparent über unsere Jobs informieren, uns nahbar machen.
Deshalb waren super viele KollegInnen aus den Bereichen da, damit man halt einfach mal die Möglichkeit hat, mit denen ins Gespräch zu kommen.
Julian: Und wie lief das, wenn ich mich jetzt bewerben wollte? Habe ich dann meinen Lebenslauf abgegeben oder das Onlineformular ausgefüllt?
Elena: Wir haben das dann mit den Bewerbenden zusammen gemacht. Also haben wir die Bewerbung für sie beispielsweise aufgenommen oder ihre Dokumente eingescannt.
Wir hätten natürlich sagen können: Bewirb dich online. Aber das wollten wir auf gar keinen Fall, sondern wir wollten, dass sie mit einem guten Gefühl rausgehen.
Julian: Habt ihr auch Interviews geführt und Teilnehmer auf Eignung geprüft?
Ja, wir haben gesagt, wenn wir das machen, holen wir auch möglichst viel raus und beziehen unsere Fachbereiche mit ein.
Für den Busbereich haben wir Vorstellungsgespräche vor Ort gemacht, das war in so einem Umfeld neu für uns. Unsere Arbeitnehmervertretung war auch da. Und wir haben die Merkfähigkeitstests durchgeführt. Damit haben wir schon mal fast alles bis auf den Besuch beim Betriebsarzt abgehakt.
Julian: Was hat dich an der ganzen Aktion persönlich am meisten überrascht?
Elena: Ich habe nicht damit gerechnet, dass das so ein Stolz-Moment für viele Mitarbeitenden war. Wir waren so auf extern getrimmt, dass wir nachträglich erst gemerkt haben, wie gut es von den KollegInnen angenommen wurde.
Die sind vorbeigekommen und haben gesagt: Wow, das sieht ja total schön aus! Sie haben sich Zeit genommen, mit uns einen Kaffee getrunken, über ihre Erfahrungen erzählt und sich das Ganze einfach mal angeguckt.
Julian: Und wenn jemand auch so ein Pop-up- und Erlebnis-Event machen will, was würdest du ihnen als Tipp mitgeben?
Elena: Sich möglichst viel Zeit einplanen.
Das mit drei Monaten Vorbereitung war eine sehr knappe Nummer. Wir waren drei, vier Personen. Das war schon trotzdem knackig, weil wir noch andere Aufgaben haben.
Und wir wollten nicht, dass das nachher so wirkt, dass wir dann einfach da mit einem Beratungsstand sind, aber nichts Besonderes zu bieten haben. Unser USP waren die Events.
Insofern würde ich empfehlen, dass man trotz des Store-Charakters überlegt, was der USP ist, und dass man etwas schafft, um sich erlebbar zu machen.
Julian: Vielleicht könnt ihr ja mal die Straßenbahn-Europameisterschaften nach Berlin holen… Aber im Ernst, würdet ihr den Job Store wiederholen?
Elena: Als Team würden wir sagen, ja, mit einem gewissen Abstand, weil wir jetzt wissen, wie es funktioniert. Wir haben aber schon andere Ideen in der Pipeline.
Es gab ja schon mal eine Bewerbungs-Tram. Jetzt planen wir einen Recruiting-Bus, der wie eine Roadshow verschiedene Punkte in Berlin anfährt, an denen man sich bewerben kann. Und nicht nur für Bus, sondern für alle Zielgruppen.
Aber nichtsdestotrotz war der Store für uns erfolgreich, und wir würden das nochmal machen.
Julian: Hattet ihr Partner und Provider, die euch geholfen haben? Und kannst du etwas zu den Kosten sagen?
Elena: Ja, unser Messebauer Better Day hat das Raumkonzept mit uns umgesetzt. Das musste ja alles konzipiert und aufgebaut werden, vom Boden bis zu den Wänden.
Und dann natürlich unsere Kreativagentur Die Botschaft, die uns mit der Kommunikation vorab und den Bilderwelten geholfen hat.
Das war ein sehr großes Investment, und die Miete für den Laden war wirklich der kleinste Teil. Es hat im Vergleich wohl mehr gekostet als zehn Messen, sicher ein sechsstelliger Betrag, der sich aber gelohnt hat.
Julian: Eure Aktion ist ja Recruiting und Employer Branding in einem. Würdest du sagen, die beiden Bereiche wachsen näher zusammen?
Elena: Ja, wir sind tatsächlich näher zusammengewachsen, was diese Themen betrifft. Das Team Personalmarketing alleine hat sich in den letzten Jahren fast verdreifacht. So können wir strategisch und operativ noch besser Projekte umsetzen und neue Mitarbeitende finden.
Jetzt schauen wir, wie wir auf dem Job Store aufsetzen können, damit die Story weitererzählt wird.
Julian: Ein schönes Schlusswort. Elena, vielen Dank für diesen Blick hinter die Kulissen!
Elena: Danke dir für den Austausch!