Vor wenigen Wochen erhielt Deutsche Telekoms "Open Application" den Potentialpark Innovation of the Year Award in Deutschland. Was steckt hinter dem Projekt?
Zunächst einmal - der Preis wurde von einer unabhängigen Jury an das Projekt vergeben, das Talent Communication am meisten weitergebracht hat. Gemeinsam mit ihrem Partner Cyquest schlug die Deutsche Telekom damit immerhin 14 andere Nominierungen aus dem Feld. Glückwunsch!
Torgil Lenning, CEO Potentialpark, Cagla Kocayel und Lotta Stepan, Deutsche Telekom AG, Jo Diercks, Cyquest beim Potentialpark Summit 2024
Was ist so innovativ an der Open Application? Und was können wir daraus lernen? Werfen wir einen Blick hinter die Kulissen und hören wir von dem Team, das es umgesetzt hat.
Das sagte zunächst die Jury:
"Mit 'Zeig, wer du bist, und wir sagen dir, was zu dir passt!' liefert die Telekom eine Lösung, die Berufsorientierung und Bewerbungsprozess miteinander nahtlos verbindet – und auf clevere Art und Weise Personalmarketing-Botschaften integriert. Ein Win-Win-Win für Unternehmen und Kandidat:innen, die es schafft eine Lücke zu schließen, die das Bildungssystem in Deutschland häufig offen lässt."
Was ist also die Open Application? Ein Matching-Tool, eine Marketingkampagne für Schüler und ein Service für Berufsorientierung, alles in einem.
Sie stellt den Kandidaten eine Reihe von Fragen und generiert automatisch Empfehlungen für Berufe, die am besten zu ihnen passen. Die Technologie dahinter stammt von Cyquest und wurde für die Jobs und Fähigkeiten der Deutschen Telekom angepasst.
Was mich jedoch wirklich beeindruckt hat, war, dass die Open Application sogar Kandidaten, die nicht zur Deutschen Telekom passen, hilft, indem sie ihnen Berufe empfiehlt, die sie anderswo verfolgen können.
Die meisten Matcher und Assesments beschränken sich darauf, was der Arbeitgeber sucht. Entweder bekommt also jeder eine Empfehlung, egal wie gering die Übereinstimmung ist, oder einige werden mit einem "nein danke" abgespeist, was unhöflich wirken kann.
Die Open Application hingegen hat eine altruistische Note, die sich langfristig für die Marke auszahlen könnte. Schließlich will man die richtigen Talente, nicht einfach möglichst viele, selbst in einem umkämpften Arbeitsmarkt.
Um einmal unter die Haube zu schauen, spreche ich mit den Personen hinter dem Projekt: Cagla Kocayel, Expertin für strategisches Recruiting von Nachwuchskräften, und Lisa Ebert, Leitung Nachwuchskräfte Staffing bei der Deutsche Telekom AG
Julian: Cagla and Lisa, herzlich willkommen, könnt ihr euch einmal vorstellen?
Hallo, wir sind Lisa und Cagla von der Deutschen Telekom AG.
Lisa: Ich habe kommissarisch die Leitung des Teams Nachwuchskräfte Staffing im zentralen Ausbildungsmanagement übernommen. Unsere Aufgaben umfassen unter anderem das Schülermarketing, das Recruiting und die Übernahme von Nachwuchskräften.
Cagla: Ich gehöre zum Team Nachwuchskräfte Staffing und bin für das strategische Recruiting von Nachwuchskräften verantwortlich.
Im Sommer 2023 haben wir das neue Recruitingverfahren eingeführt, das auch die Open Application beinhaltet.
Was ist der Zweck der Open Application, und was habt ihr tatsächlich damit erreicht?
Aktuelle Studien zeigen, dass es der jungen Generation beim Berufseinstieg schwerfällt, ihre eigenen Interessen einem Beruf oder dualen Studiengang zuzuordnen. Sie suchen verstärkt nach beruflicher Orientierung. Die Corona-Pandemie hat diesen Trend aufgrund mangelnder Berufsorientierungsmöglichkeiten weiter verstärkt. Dies führt vermehrt zu Ausbildungs- und Studienabbrüchen sowie Lücken in den Berufsbiografien, was die Nachfrage am Bewerbermarkt verringert und die Fachkräftesicherung zusätzlich erschwert.
Um langfristig den Fachkräftebedarf decken zu können, ist es für Unternehmen entscheidend, die junge Generation bei ihrer beruflichen Orientierung zu unterstützen und ihnen Sicherheit bei der Berufswahl zu geben. Dies erfordert ein neues Verständnis des Recruitings.
Die Deutsche Telekom möchte diesen Paradigmenwechsel vorantreiben und die Berufsorientierung in den Auswahlprozess integrieren. Mit Hilfe der Open Application ist es möglich, sich zu bewerben, ohne sich vorher für einen bestimmten Beruf oder Studiengang entscheiden zu müssen. Gemeinsam finden wir den Best-Fit – das bedeutet, wir schauen in unserem Auswahlverfahren auf die individuellen Stärken und Interessen und finden gemeinsam den passenden Berufseinstieg.
Dazu werden alle Bewerber*innen zunächst zu einem Onlinetest eingeladen, bei dem ihre individuellen Interessen, Stärken und Potenziale betrachtet werden. Die Testergebnisse stehen im Anschluss zur Verfügung, um sie bei der beruflichen Orientierung zu unterstützen. Im Interview werden dann gemeinsam die Testergebnisse betrachtet und der passende Ausbildungsberuf oder duale Studiengang bei der Telekom identifiziert.
Hat das auch funktioniert, und wie habt ihr den Erfolg gemessen?
Mit der Einführung des neuen Auswahlverfahrens Ende Juni 2023 haben wir die "Open Application" für Ausbildungs- und duale Studienangebote ermöglicht. Dadurch haben wir jungen Menschen, die noch unsicher sind, die Möglichkeit gegeben, im Rahmen eines Auswahlverfahrens Beratung zu erhalten und den für sie passenden Berufseinstieg zu finden.
Bis Januar 2024 haben über 15.700 Bewerber das neue Auswahlverfahren durchlaufen. Davon haben bereits 750 Bewerber die Chance der "Open Application" genutzt. Darüber hinaus konnten wir 360 Bewerbern aufgrund der Passungsempfehlung eine Zusage in einem anderen als ursprünglich gewünschten Beruf geben und somit durch gezielte Beratung die Weichen für eine erfolgreiche und zufriedene berufliche Zukunft stellen.
Auch die Zielgruppe bestätigt den Erfolg unseres neuen Auswahlverfahrens, da die jungen Menschen beeindruckt sind, wie der Onlinetest ihre Interessen erkennt und ihnen ihren maßgeschneiderten Beruf vorschlägt. Zudem konnten sie dank der Beratung ein Berufsbild finden, das auf ihre Stärken abgestimmt ist. Für die jungen Menschen ist Berufsorientierung als Inklusivleistung somit ein echter Mehrwert und auch für uns als Unternehmen ein Alleinstellungsmerkmal im War for Talents sowie die richtige Konsequenz zur Sicherung des Fachkräftebedarfs in Zeiten großer Orientierungslosigkeit.
Berufsorientierung endet für uns nicht mit der Auswahl, sondern wird zum festen Bestandteil der Begleitung über den gesamten Ausbildungs- und Studienverlauf.
Wie lang habt ihr von der Idee bis zur Umsetzung gebraucht, und wie lief das ab?
Wir sind im Herbst 2022 mit dem Projekt gestartet und haben uns intensiv mit dem Feedback der Zielgruppe und der Recruiter der Telekom auseinandergesetzt. Dabei haben wir die Bewerbenden der Telekom aus dem letzten Auswahljahr befragt, um Informationen zur Zufriedenheit, Qualität und möglichen Verbesserungen des aktuellen Auswahlverfahrens zu erhalten. Basierend auf diesen Erkenntnissen und relevanten Studien haben wir Workshops mit all unseren Recruitern durchgeführt, um an der Projektidee und Umsetzung zu arbeiten. Schließlich wurde das neue Auswahlverfahren am 26.06.23 eingeführt, einschließlich einer umfassenden Kommunikation an alle relevanten Stakeholder.
Wie habt ihr die richtigen Skills für jedes Praktikum ausgewählt? Und wie habt ihr sicher gestellt, dass die Empfehlungen wirklich nützlich sind?
Bei der Auswahl von Bewerbern betrachten wir das Gesamtbild. Das bedeutet, wir berücksichtigen die individuellen Interessen, Stärken und Potenziale der jungen Menschen. In einem persönlichen Gespräch möchten wir den Bewerbenden besser kennenlernen und gemeinsam den passenden Ausbildungsberuf oder dualen Studiengang bei der Telekom identifizieren.
Darüber hinaus überprüfen wir mithilfe von Feedback aus dem Geschäftsbereich, welche Interessen der Kandidat mitbringen muss, um die Bedürfnisse von Angebot und Nachfrage bestmöglich zu erfüllen.
Auf was für Probleme seid ihr dabei gestoßen, und wie seid ihr damit umgegangen?
Eine der größten Herausforderungen bestand darin, alle relevanten Interessengruppen für das neue Recruitingverfahren zu gewinnen und ihnen ein Verständnis dafür zu vermitteln.
Intern war eine enge Zusammenarbeit zwischen den Recruitern und den Geschäftsbereichen erforderlich. Es gab teilweise unterschiedliche Perspektiven und Empfindlichkeiten. Daher war es wichtig, die Interessengruppen über verschiedene Kommunikationskanäle frühzeitig einzubinden und in den Dialog zu treten.
Zudem war es von Bedeutung, klar zu definieren, für wen und warum wir diese Änderung anstreben.
Was habt ihr persönlich in diesem Projekt gelernt und mitgenommen?
Was uns im Rahmen des Projekts noch einmal deutlich geworden ist, ist, dass wir nur gemeinsam erfolgreich sein können. Der neue Prozess geht mit einer Veränderung einher, und Veränderungen sind niemals leicht. Aber gemeinsam sind wir erfolgreich, nach dem Motto #yeswecan!
Es erfüllt uns mit Freude zu sehen, wie unsere Ideen in die Realität umgesetzt wurden. Wir sind stolz auf das, was wir als Team in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten erreicht haben. Durch die Integration von Berufsorientierung in den Auswahlprozess leisten wir einen wichtigen Beitrag, um die jungen Menschen bei ihrer Berufsorientierung noch weiter zu unterstützen.
Welchen Rat würdet ihr anderen Employer-Branding-Teams geben, die etwas ähnliches umsetzen wollen?
Seid mutig und offen für Veränderungen!
Bindet die verschiedenen Interessengruppen ein, pflegt einen regen Austausch miteinander und arbeitet gemeinsam an einem gemeinsamen Verständnis und Plan.
Wie sieht die Zukunft des Projekts aus?
Im Sommer des letzten Jahres sind wir mit dem Konzept gestartet. Es ist von großer Bedeutung, dass wir uns nicht auf unseren Erfolgen ausruhen. Kontinuierliches Feedback einzuholen und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen ist entscheidend. Daher sind wir gespannt auf die weitere Entwicklung des Konzepts.
Cagla and Lisa, man merkt, dass viel Mühe in diese Innovation geflossen ist. Danke, dass ihr diese Einblicke mit uns geteilt habt, und viel Erfolg mit den nächsten Schritten!