Ein echter Innovations-Knaller: Ich spreche mit Simon Galka über das neue Employer-Branding-Format, das Online und menschlichen Kontakt verbindet
Julian: Lieber Simon, stell dich doch einmal kurz vor.
Simon: Mein Name ist Simon Galka, und ich bin bei ALDI SÜD im Bereich der IT für das Employer Branding zuständig, betreue unsere Personalmarketing-Kampagnen und auch innovative Aktionen.
Julian: Bei ALDI denkt man ja nicht sofort an IT. Aber ihr stellt unter dem Motto „Reprogram retail“ sage und schreibe 1000 IT- und Data-Spezialisten in einem Jahr ein. Womit beschäftigen die sich?
Simon: Die kümmern sich um sämtliche digitale Lösungen, die Mehrwert für unser Business schaffen. Wir sind als Erfinder des Discountprinzips ja sehr auf das Thema Effizienz bedacht und schauen, dass alles, was wir tun, dazu beiträgt, Produkte zu niedrigen Preisen und zu bester Qualität anzubieten..
Da können gerade digitale Lösungen helfen, indem zum Beispiel repetitive oder zeitintensive Arbeiten für unsere Kollegen in den Filialen minimiert werden.
Julian: Wo agiert ihr mit ALDI SÜD gemeinsam, und wo macht ihr als ALDI SÜD IT euer eigenes Ding?
Simon: Wir haben einen regen Austausch zum nationalen Employer-Branding-Team. An sich haben wir aber eine eigene Target Value Proposition und unterschiedliche Zielgruppen, die wir unterschiedlich adressieren.
Wir teilen uns gewisse Ressourcen, beispielsweise unser ATS. Aber wir haben eine eigene Karriereseite und teils auch eigene Social Media Kanäle mit IT-Bezug.
Julian: Wo hakt es am meisten bei eurem IT-Recruiting? Und ist die bekannte Discounter-Marke dabei Fluch oder Segen?
Simon: Pro: Dass man niemandem erklären muss, wer oder was ALDI SÜD ist. Die Marke hat in Deutschland wie auch mittlerweile international eine große Attraktivität und Strahlkraft. Dementsprechend kriegen wir viele Bewerbungen, glücklicherweise auch in der IT.
Auf der anderen Seite muss man erklären, dass hinter ALDI SÜD ein technologiegetriebener Arbeitgeber mit spannenden Aufgaben steckt.
In Summe ist bei uns die Challenge, die richtigen Leute anzusprechen und aus der Vielzahl an Bewerbungen die richtigen zu selektieren.
Julian: Und da setzt ja, wenn ich das richtig verstehe, auch der aldi.deepdive(live) an. Deinen Vortrag auf dem EMBRACE.Festival habe ich ja leider verpasst. Aber mehrere Teilnehmer meinten zu mir, das sei der beste Case des Tages gewesen. Was ist denn dieser aldi.deepdive(live)?
Simon: In a nutshell: Das ist der erste Live-Austausch von Kandidatinnen und Kandidaten mit Kolleginnen und Kollegen aus der IT, die direkt in einem bestimmten Job arbeiten, kompakt ausgespielt in der jeweils passenden Stellenanzeige.
Julian: Alle reden von Automation, Chatbots und AI. Warum setzt ihr auf Livechats mit echten Menschen?
Simon: Jedes Unternehmen muss sich über die eigenen Challenges bewusst sein. Chatbots und AI sind für viele sicher die richtige Lösung. Aber sie sind eher dafür gut, Informationen schnell und standardisiert zur Verfügung zu stellen oder abzufragen.
Aber in unserem Fall ist es eher der persönliche Kontakt. Es geht ja nicht darum, T-Shirts oder Schuhe zu verkaufen, sondern um Jobs. Und das sind High-Involvement-Produkte, bei denen man es sich drei-, viermal überlegt. Da geht es um die Passung und die Kultur, die Projekte, um Menschen, mit denen man zusammenarbeitet.
Deswegen setzen wir direkt an einem der allerersten Touchpoints der Candidate Journey auf den Menschen und ermöglichen eine authentische Interaktion direkt in der Stellenanzeige.
Julian: Auch Livechats an sich sind ja nichts Neues. Was ist das Besondere am aldi.deepdive(live)?
Simon: Das konkrete Zuschneiden auf eine Stelle. Dass sich interessierte Kandidatinnen und Kandidaten mit jemandem unterhalten können, der wirklich in diesen Job arbeitet.
Vor allem ist es aber der Überraschungsmoment: Es ist einfach etwas Neues, das man im konventionellen Bewerbungsprozess wohl noch nicht gesehen hat.
Julian: Wie konnte man sich anmelden und teilnehmen? Und wie liefen die Chats ab?
Simon: Wir haben das letztes Jahr anhand von 3 Livestreams pilotiert. Da gab es noch keine Registrierungsfunktion, das war frei zugänglich, und wir haben das gestreamt über YouTube, LinkedIn, Instagram und über unsere Stellenanzeigen.
Jetzt, wo wir das in einen laufenden Prozess überführt haben, gibt es eine Anmeldefunktion über MS Teams. Das ist unser zentraler Hub, von dem aus wir weiterhin streamen, beispielsweise auch zu LinkedIn.
Diese Registrierung ist aber kein Muss, sondern da geht es darum, noch mehr Nähe zu erzeugen. Wer sich registriert, hat andere Interaktionsmöglichkeiten, mit Chat, „Daumen hoch“ und theoretisch sogar Video oder Mikrofon.
Julian: Wie habt ihr eure Ambassadors gewonnen, und wie habt ihr sie vorbereitet?
Simon: Wir haben das große Glück, dass wir sehr loyale und committete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, die mitteilungsbedürftig sind und gerne über ihre Projekte sprechen.
Wir haben für sämtliche Employer-Branding-Maßnahmen des Jahres eine Abfrage platziert. Eine davon war der aldi.deepdive(live). Aus den Interessierten haben wir versucht, eine möglichst große Diversität abzubilden.
Die Teilnehmer wurden eingehend gebrieft, aber nicht geskriptet, denn uns geht es vor allem um Authentizität. Deswegen haben wir bei aller Vorsicht viel freie Hand gegeben.
Julian: Und wie haben die Kandidaten auf das Ganze reagiert?
Simon: Zwei Worte treffen es ganz gut: einmal Überraschung, in einer Stellenanzeige live zu sein, so transparent zu sein. Und das zweite ist Dankbarkeit, weil wir vielen, die keine Ahnung von ALDI SÜD hatten, echte Insights geben konnten. Oder Leuten, die grundsätzliches Interesse hatten, gezeigt haben, dass wir doch nicht der passende Arbeitgeber für sie sind..
Julian: Das erinnert mich an die Open Application der Telekom: Es geht nicht nur darum, Werbung zu machen, sondern die Richtigen zu finden. – Was habt ihr denn für Fragen von Kandidaten bekommen? Hat euch da irgendwas überrascht?
Simon: Ich hätte ehrlicherweise mit eher oberflächlichen Fragen gerechnet. Dass sich da Kandidatinnen und Kandidaten einklinken, die eher eine halbe Stunde Stream anschauen, anstatt sich durch die Karriereseite zu wälzen.
Aber der Großteil der Fragen ging sehr tief in die technischen Zusammenhänge. Man merkte, dass da nur Leute mit einem Grundverständnis eingeschaltet hatten. Das lag auch an der Vermarktung und daran, dass jeder Stream für einen Job gemacht wurde. So kam ein Gespräch auf Augenhöhe zustande.
Julian: Ihr habt in den Stellenanzeigen und auch auf Social Media Werbung gemacht. Was hat am meisten gezogen?
Simon: Ja, IT-Talente durchwälzen nicht unbedingt aktiv sämtliche Stellenanzeigen. Wir haben also unsere Active-Sourcing-Teams dafür genutzt, ausnahmsweise statt auf Jobs auf den Live-Stream hinzuweisen.
Ebenfalls hat sehr gut funktioniert, in Umfeldern zu werben, bei denen das Prinzip von Frage und Antworten eh schon eine Rolle spielt: Onlineportale wie gutefrage.net oder Netzwerke wie Reddit, Stack Overflow, Twitch und Quroa, wo man von einer großen Anzahl an IT- und Data-Talenten ausgehen kann.
Julian: Jetzt hast du schon erwähnt, dass ihr letztes Jahr pilotiert habt. Was kam dabei raus, was habt ihr gemessen?
Simon: Wir haben dermaßen gute Ergebnisse erzielen und einige Awards gewinnen können, so dass wir uns entschieden haben, dieses Jahr weiterzumachen. Auch kontinuierlich mit mindestens einem Stream pro Monat.
Wir messen natürlich klassische Reichweiten-Kennzahlen. Aber noch wichtiger für uns: Die Interaktion. Uns geht es darum, echte Kontakte herzustellen. Die wichtigsten Zahlen sind daher die gestellten Fragen und die Reaktionen.
Es haben sich auch etwa 15 Teilnehmer:innen im Nachgang auf eine Stelle beworben, plus eine Dunkelziffer, die wir nicht tracken können. Aber für uns ist es ja in erster Linie eine Employer-Branding-, keine Recruiting-Maßnahme.
Julian: Das hat Elena von der BVG zum Job Shop auch gesagt: Sie wollten niemanden in den Job „reinquatschen“.
Simon: Ja, wir haben in Studien analysiert, dass ALDI SÜD nicht immer mit spannenden Aufgaben und Innovationen in Verbindung gebracht wird. Auch in Bezug auf Persönlichkeit, Nähe, Authentizität lassen wir da bislang in unserem Personalmarketingmix scheinbar etwas vermissen. Deswegen wollten wir uns mit den Live-Streams zeigen und erlebbar machen.
Julian: Kannst du noch etwas zur Umsetzung sagen?
Simon: Da bin ich tatsächlich am meisten stolz darauf. Denn der Zeitraum zwischen erster Idee und dem ersten Livestream betrug nur 58 Tage. Das war wirklich ein absoluter Sprint.
Julian: Das ist beeindruckend.
Simon: Eine der größten Herausforderungen ist natürlich das Thema Live. Bei dem Wort geht bei vielen erstmal die Alarmglocke an. Da kann viel schiefgehen.
Dennoch haben wir einen gewissen Pragmatismus an den Tag gelegt, wollten "einfach mal machen" und probieren. Vor allem weil das auch gut zu unserer aktuellen agilen Transformation passt.
Julian: Kommen wir mal zu den Stakeholdern. Wer war intern einbezogen, und wer hat euch bei der Umsetzung geholfen?
Simon: In der Pilotphase hatten wir externe Hilfe durch unsere Employer-Branding-Agentur "YeaHR!". Mittlerweile steuern wir das Projekt komplett in-house.
Dass das Projekt fliegen gelernt hat, ist dem Einsatz unserer Kolleginnen und Kollegen zu verdanken: von der Moderation über die IT, die die Live-Streams in die Stellenanzeigen eingebunden hat, und die Übersetzungsteams bis hin zu den Teams vor der Kamera war das ein interner Erfolg.
Julian: Und wie hilet sich das mit den Kosten?
Simon: Viel in-house zu belassen, hat die Kosten extrem geschont. Und es ist definitiv für uns wertvoller gewesen, diese Maßnahme zu machen, als sich für 40.000 oder 50.000 EUR online Banner einzukaufen, bei denen ich nicht weiß, welchen Return sie mir bringen.
Wir bezahlen derzeit eigentlich nur noch für Vermarktung der Streams, und das ist natürlich flexibel nach oben und unten skalierbar.
Julian: Was hat dich persönlich bei dem Projekt am meisten überrascht, was hast du gelernt?
Simon: Dass wir damit einen Innovationspreis gewonnen haben. Man denkt heutzutage, man müsse sich technologisch sonst was einfallen lassen. Doch wir haben mit so einer vermeintlich einfachen Sache wie Live-Streams in einem vermeintlich verstaubten Format wie in der Stellenanzeige die Innovation des Jahres gewonnen.
Jetzt gehört es fest zu unserem Employer-Branding-Mix. Um mal ein bisschen Zukunftsmusik zu spielen: Man könnte das so ausdehnen, dass jeder Recruiter, jeder Hiring Manager jederzeit im Self-Service einen Live-Stream ansetzen kann.
Julian: Was würdest du anderen als Tipp geben, die eurem Beispiel folgen wollen?
Simon: Ich habe für das EMBRACE.Festival mal eine Erfolgsformel aus 4 Begriffen zusammengeschrieben, deren Anfangsbuchstaben ALDI ergeben:
A wie Authentizität – darum geht es, ohne sie geht es nicht. Also freie Hand lassen, niemandem irgendwas vorgeben.
L steht für Lebendigkeit. Wir müssen die Streams mit etwas Besonderem aufladen, damit es nicht langweilig wird und keine klassischer Vortrag.
D steht für Distribution. Entscheidend war, sich passende Kanäle rauszusuchen, um die richtigen Leute zu erreichen.
I steht für Interaktion. Deswegen machen wir es live, weil wir wirklich den Kontakt zu den Kandidatinnen und Kandidaten wollen und von der Community Fragen und Antworten oder Reaktionen erhalten möchten.
Julian: Das ALDI-Prinzip? Das könnte ja dein nächstes Buch werden.
Simon: Kann sein, wer weiß?
Julian: Ihr seid ja so etwas wie ein Innovation Lab bei ALDI SÜD, eure Karriereseite und Stellenanzeigen bersten vor Kreativität. Auf welche eurer Candidate-Experience-Ideen bist du am meisten stolz?
Simon: Wir im Team sind sehr bedacht auf Innovationen. Wir haben Landing Pages für einzelne Jobprofile, eine Seite in leichter Sprache, oder auch die Gimmicks rund um den Live-Stream, beispielsweise einen Live-Countdown innerhalb der Stellenanzeigen.
Am meisten stolz sind wir in Summe darauf, dass wir uns jährlich selber analysieren, um zu schauen, ob unsere Candidate Experience noch zeitgemäß ist und wie wir uns verbessern können.
Julian: Was plant ihr als nächstes?
Simon: Ganz bald wird es eine spannende Zielgruppenkampagne mit Fokus auf Women in Tech geben. Und wir möchten uns weiter dem Thema Gaming nähern. Das ist für IT generell wichtig. Aber wir haben auch intern rausgefunden, dass das auf einen fruchtbaren Nährboden fällt, und wir sind gerade dabei, eine Gamer-Community aufzubauen.
Darüber wollen wir erste Maßnahmen etablieren, die dann irgendwann extern sichtbar und für das Employer Branding nutzbar sein werden.
Julian: Ein schöner Teaser. Ich habe ja zum Gaming im Employer Branding kürzlich erst mit Simon Bühler von DHL gesprochen. Da bin gespannt auf eure Aktion.
Simon, ich danke dir für diese tollen Einblick hinter die Kulissen. Merci und alles Gute weiterhin!
PS: Und wer sich die Livestreams einmal selbst anschauen möchte, wird hier fündig:
„Facing the customer“ mit Sabine und Pascal (primär für IT-Architekt:innen) https://www.youtube.com/watch?v=sL7MPOLTGkQ
„The IT in our stores“ mit Lennart und Wolfgang (primär für Developer) https://www.youtube.com/watch?v=N0sosmFocEw
„Agile by nature?“ mit Marcella und Julian (primär für agile Expert:innen) https://www.youtube.com/watch?v=XaFD463BW1A
„Tech works better together“ mit Özge und Michael (primär für Business Analysts) https://youtu.be/g0bhNzswSh8
„Agile organisation loading …“ mit Karo und Tim (primär für Scrum Master und Agile Coaches) https://youtu.be/BAYBbCkDyvg
„Test. Learn. Build. Repeat.“ mit Birger (primär für QA/Test Expert:innen) https://youtu.be/B07JNQBEsys
„Good designs for everyone“ mit Jairus und Tim (primär für UX/UI Spezialist:innen) https://youtu.be/wipz3NnNSWQ
„Smart data, smarter minds“ mit Christoph und David (primär für Data & Analytics Spezialist:innen) https://youtu.be/opU5y05jygs
„Reprogramming retail line by line“ mit Stefan, Wolfgang und Ranjit (primär für Developer) https://youtu.be/Yo9hQlJ9v4A